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STAMMHEIM – ZEIT DES TERRORS

Dokudrama Ab 17. Mai 2025 in der ARD Mediathek Am 19. Mai um 20:15 Uhr im Ersten

Im Schatten der Mörder – Die unbekannten Opfer der RAF

Dokumentation Ab 17. Mai 2025 in der ARD Mediathek Am 19. Mai um 21:45 Uhr im Ersten











STAMMHEIM – ZEIT DES TERRORS



Dokudrama Ab 17. Mai 2025 in der ARD Mediathek Am 19. Mai um 20:15 Uhr im Ersten

Gudrun Ensslin (Lilith Stangenberg) beim Stammheim-Prozess.

Ulrike Meinhof (Tatiana Nekrasov) im Gespräch mit Gudrun Ensslin (Lilith Stangenberg) beim Hofgang in der JVA Stammheim.

Gudrun Ensslin (Lilith Stangenberg) kurz vor der Ankunft in der JVA Stuttgart Stammheim.

Ulrike Meinhof (Tatiana Nekrasov) bei der Ankunft in der JVA Stuttgart Stammheim.

Alfred Klaus (Heino Ferch) in der Zelle von Gudrun Ensslin (Lilith Stangenberg).

Andreas Baader (Henning Flüsloh) in seiner Zelle.

Alfred Klaus (Heino Ferch), links, mit dem Vollzugsbeamten Horst Bubeck (Moritz Führmann).

Jan-Carl Raspe (Rafael Stachowiak) mit dem Vollzugsbeamten Horst Bubeck (Moritz Führmann).

Inhalt

Anlässlich des 50. Jahrestages des Stammheim-Prozesses im Mai 2025 liefert das Dokudrama einen ungewöhnlichen Einblick in die Lebenswelt der ersten Generation der RAF, als sie in Stuttgart vor Gericht stand.

Er war eine der aufwändigsten juristischen Aufarbeitungen der Bundesrepublik und hielt die Welt in Atem: Der Stammheim-Prozess gegen die Führung der ersten Generation der RAF, der am 21. Mai 1975 begann, war ein Gerichtsverfahren der Superlative. Zahllose Tonbänder, 15.000 Seiten mit Wortprotokollen und seltenes Archivmaterial machen den Prozess auch zu den am besten dokumentierten in der Geschichte. Durch den Prozess wurde Stammheim zum identitätsstiftenden Ort der RAF.

Kammerspiel mit neuen Perspektiven

Das Dokudrama rekonstruiert die Lebenswelt von Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Jan-Carl-Raspe und Ulrike Meinhof im siebten Stock der JVA Stammheim und zeigt das Geschehen auf der öffentlichen Bühne im benachbarten Gerichtssaal. Dabei nutzt das Dokudrama neue, ungewöhnliche Perspektiven. So erleben wir das Drama u.a. durch die Augen von Horst Bubeck, der als Vollzugsbeamter im Zellentrakt den intensivsten Kontakt zu den Inhaftierten hatte.

Verweben von szenischen Teilen mit Archivmaterial

Das Storytelling wird ergänzt durch den Einzug einer zweiten dramaturgischen Ebene, den Untersuchungsausschuss aus dem Jahr 1977/78, in dem die Ereignisse im Zellentrakt der JVA bis zur „Todesnacht in Stammheim“ retrospektiv analysiert wurden. Horst Bubeck spielt auch in diesem Erzählstrang eine tragende Rolle. Vom Prozess und vom Untersuchungsausschuss existieren Originalaufnahmen, die in diesem Dokudrama mit Inszenierungen verwoben werden. Die szenischen Teile des Dokudramas, die am Originalschauplatz im siebten Stock der JVA Stammheim gedreht wurden, stützen sich auf Protokolle, Kassiber und die Erinnerungen damals handelnder Personen.

Im Dokudrama, das auf einem Drehbuch von Stefan Aust und Niki Stein beruht, spielen Lilith Stangenberg (Gudrun Ensslin), Henning Flüsloh (Andreas Baader), Tatiana Nekrasov (Ulrike Meinhof) sowie Rafael Stachowiak (Jan-Carl Raspe) die vier Hauptinhaftierten. In weiteren Rollen sind u.a. Moritz Führmann (Horst Bubeck), Heino Ferch (BKA-Beamter Alfred Klaus) und Hans-Jochen Wagner (Vorsitzender des Untersuchungsausschusses) zu sehen.







BESETZUNG

LILITH STANGENBERG
Gudrun Ensslin
HENNING FLÜSLOH
Andreas Baader
TATIANA NEKRASOV
Ulrike Meinhof
RAFAEL STACHOWIAK
Jan-Carl Raspe
MORITZ FÜHRMANN
Vollzugsbeamter Horst Bubeck
HEINO FERCH
Kriminalbeamter Alfred Klaus
HANS-JOCHEN WAGNER
Vorsitzender des Untersuchungsausschusses
ISAAK DENTLER
Anwalt Klaus Croissant





links: Lilith Stangenberg als Gudrun Ensslin | rechts: Gudrun Ensslin

links: Henning Flüsloh als Andreas Baader | rechts: Andreas Baader

links: Tatiana Nekrasov als Ulrike Meinhof | rechts: Ulrike Meinhof

links: Rafael Stachowiak als Jan-Carl Raspe | rechts: Jan-Carl Raspe







STAB

Buch
Stefan Aust und Niki Stein
Regie
Niki Stein
Dramaturgische Mitarbeit
Bettina Schoeller Bouju
Aufnahmeleitung
Ingo Stroot
Kamera
Arthur Ahrweiler
Ton
Robert Keilbar
Musik
Jacki Engelken
Szenenbild
Benedikt Herforth
Kostümbild
Susanne Fiedker
Maske
Monika Knauf, Hanna Pfeiffer, Sabine Hehnen-Wild
Herstellungsleitung
Patrick Fuchs
Produktionsleitung
Frank Berszuck
Produzent
Kay Siering



Stammheim – Zeit des Terrors ist eine Produktion von Spiegel TV im Auftrag von SWR (Federführung), NDR und rbb für die ARD.

Redaktion: Mark Willock, Gabriele Trost, Eric Friedler, Thore Vollert (SWR), Marc Brasse (NDR), Rolf Bergmann (rbb)

Dank an: Matthias Nagel, Andreas Schlott und alle Mitarbeiter:innen der JVA Stuttgart-Stammheim sowie an den Landtag von Baden-Württemberg. Die Szenen dieses Films basieren auf Protokollen, Kassibern (heimliche Nachrichten der Gefangenen) und Erinnerungen handelnder Personen.





Interviews

Schauspielerinnen und Schauspieler



Moritz Führmann (Horst Bubeck)

Haben die RAF und der Deutsche Herbst in Ihrer politischen Sozialisation eine Rolle gespielt? Und wenn ja, welche?

Die Geschehnisse in Bad Kleinen 1993 waren für mich die ersten bewusst erlebten Vorkommnisse in Verbindung mit der RAF. Zuvor hatte ich von meinen Eltern die bedrückenden Erlebnisse der Polizeikontrollen und Fahndungsplakate während des Deutschen Herbstes geschildert bekommen. Für mich als heranwachsenden Jugendlichen stand die RAF daneben auch für die Auswüchse des außerparlamentarischen Protests gegen die erzkonservative Politik in der Bundesrepublik. Und im Laufe meiner politischen Sozialisierung wurde mir immer klarer, wie mörderisch diese Gruppe bei der Verfolgung ihrer Ziele vorgegangen war.

Als jungem Schauspieler begegneten mir die führenden Köpfe der Terroristen auch in Form einer ikonenhaften Verklärung der Linken. Und auch wenn ich diese Wahrnehmung durch ihre Inszenierung während der Zeit in Stammheim durchaus noch verstehen kann, haben sie nach der intensiven Auseinandersetzung während des Drehs diesen Aspekt für mich verloren.

Was war Bubecks Motivation für sein korrektes und faires Verhalten gegenüber den Insassen in Stammheim und ist dies für Sie nachvollziehbar?

Laut eigener Aussagen in seinem Buch mit Oesterle war es Bubecks größte Befürchtung, durch sein Handeln einen Anlass und somit eine Begründung für die haltlosen Foltervorwürfe von Baader und Co. zu bieten. Daher bemühte er sich nicht nur um jegliche Deeskalation, trug z.B. keine Mütze, die seinen Status unterstützen hätte können, sondern erduldete sogar die täglichen Beschimpfungen und permanenten Beleidigungen. So wurde er fast durchweg als „Arschloch“ angesprochen und beschimpft. Dies kommentarlos herunterzuschlucken und das Erlebte nach Dienstende in Gedanken mit nach Hause zu nehmen, stelle ich mir als eine unglaubliche Belastung vor. In seiner Logik erscheint sein Handeln für mich durchaus folgerichtig. Wie er diesem inneren Druck zusätzlich zu dem äußeren Druck durch die Öffentlichkeit standzuhalten vermochte, war eine Aufgabe, der ich mich in meiner Darstellung stellen wollte.





Lilith Stangenberg (Gudrun Ensslin)

Haben die RAF und der Deutsche Herbst in Ihrer politischen Sozialisation eine Rolle gespielt? Und wenn ja, welche?

Das war vor meiner Zeit und hat in meiner jugendlichen Prägung keine Rolle gespielt. Ich bin erst später durch die intellektuelle Auseinandersetzung mit der Zeit und den Ideen damit konfrontiert worden. Die Frage nach der Legitimation von Gewalt für 'die richtigen' Ideen ist so komplex. Ganz ablehnen kann man sie ja eben nicht. Trotzdem sind es Symbole von einem Aufstand, in dem die richtigen Ideen/Gedanken verteidigt wurden, aber mit den falschen Mitteln. Ich berufe mich immer wieder auf Nietzsche: Wer zu lange Drachen jagt, wird selbst zu einem.

Gudrun Ensslin ist vermutlich eine der am meisten dargestellten historischen Frauen im deutschen Film. Welche Bedeutung hatte das für Ihre Annäherung an die Figur?

Ich habe mich weniger mit anderen Darstellungen von Ensslin beschäftigt, sondern viel mehr mit den original dokumentarischen Materialien, den Bildern, Tonbändern. Am meisten Zugang zu dem beeindruckenden Zahnrad in Ensslins Gedanken bekam ich durch den Briefwechsel zwischen ihr und dem Vater ihres Kindes Bernward Vesper, ein Buch, was ihr Sohn Felix Ensslin später rausbrachte. Die Briefe stehen in vollkommener Dissonanz zu der zum Teil monströsen Wirkung, die man von ihr bekommen kann, wenn man ihre Schriften und über ihre Taten liest. Ich fand darin eine verspielte, liebende Mutter wieder. Diese Ambivalenz interessiert mich sehr. Es gibt kaum eine andere weibliche Figur, die diesen leidenschaftlichen, fanatischen Blick in den Tod hat, und diese vehemente trotzige Kraft die eigenen Vorstellungen bis in den Tod zu verteidigen. Mir fallen nur Antigone und Jeanne d’Arc ein. Mich haben auch die Bilder der Serie 18. Oktober 1977 von Gerhard Richter sehr eingenommen während der Vorbereitung. Das Trostlose, Melancholische und erbarmungslos Hingegebene darin.

Ich habe nicht versucht, Ensslin zu imitieren. Ich habe daran gearbeitet ein Wesen zu verkörpern, dem diese Handlungen und Gedanken glaubhaft zuzutrauen sind.





Henning Flüsloh (Andreas Baader)

Haben die RAF und der Deutsche Herbst in Ihrer politischen Sozialisation eine Rolle gespielt? Und wenn ja, welche?

Ich bin weit nach dem Deutschen Herbst geboren und auch meine Eltern waren noch sehr jung, in der RAF-Zeit als die RAF tätig war.

Ich bin davon überzeugt, dass eine solche Erschütterung durch den Terrorismus der RAF immer Auswirkungen auf die Gesellschaft und die nachfolgende Generation hat.

Narzissmus, Macht und Paranoia sind Begriffe, die man immer wieder in Zusammenhang mit den Mitgliedern der RAF, insbesondere mit Andreas Baader findet. Würden Sie in diesem Phänomen auch einen klaren Bezug zu unserer heutigen Gesellschaft sehen?

Andreas Baader hat mit seiner charismatischen Art und seinen radikalen Ideen Menschen in einer Umbruchzeit abgeholt. Er hat in der RAF die Führung übernommen in einer Zeit, in der die Gesellschaft neue politische Werte und Ausrichtungen gesucht hat. Ähnlich wie damals stellt auch heute die Unzufriedenheit vieler Menschen in unserer Gesellschaft den Wertekatalog in Frage. Es werden Meinungen öffentlich geäußert und gesellschaftsfähig, die jahrzehntelang in unserer Gesellschaft tabu waren. Das kann dazu führen, dass genau wie damals moralische und gesellschaftliche Werte überschritten werden. Damit bereitet man den Nährboden für daraus resultierenden Taten.

Das spaltet in unserer heutigen Zeit die Gesellschaft, quer durch alle Schichten und Familien.



Tatiana Nekrasov (Ulrike Meinhof)

Haben die RAF und der Deutsche Herbst in Ihrer politischen Sozialisation eine Rolle gespielt? Und wenn ja, welche?

In meinem Elternaus bzw. in meinem Großelternhaus lagen u.a. Ausgaben von Peter Brückners „Ulrike Marie Meinhof und die deutschen Verhältnisse“, Vespers „Die Reise“ und „Das RAF-Phantom“. Damit hatten sich schon alle beschäftigt. Es war klar, dass die Mittel der RAF die falschen waren, aber dass Ulrike Meinhof klug und gedanklich inspirierend war, war unumstritten.

Für ihren Kampf und ihre Solidarität mit und für die gesellschaftlich Missachteten, ihre initiative Kraft, die Auflehnung gegen Machtstrukturen und vor ihrem kritisch denkenden Geist hege ich Respekt. Ich will die Angst und Schrecken des Deutschen Herbsts trotzdem nicht verharmlosen.

Haben Sie den Eindruck, dass der politische Kampf von Ulrike Meinhof längst von einem persönlichen Kampf gegen die Mithäftlinge abgelöst wurde? War das von Anfang an Ihre Herangehensweise an die Figur?

So habe ich das nicht gesehen. Ich glaube schlicht, der Preis war zu hoch. Sie war eine politische Journalistin, hat wie so viele etwas verändern wollen in einer noch stark vom Faschismus geprägten Gesellschaft. Sie hatte gesellschaftlich/politisch schon eine hohe Aufmerksamkeit, aber geändert hat sich trotzdem nichts. Sie erscheint mir unglaublich willensstark und selbstbewusst auf der einen Seite, aber in der Seele auch ganz zart und erschüttert. Die Radikalisierung, der Verlust von ihren Kindern, Gefängnis, Isolationshaft, die Schuld haben alle Inhaftierten anders verkraftet oder auch nicht verkraftet. Das Eingeständnis, dass man sich geirrt hat, das war nicht diskutabel, das war der Verrat, der Unglaube.



Rafael Stachowiak (Jan-Carl Raspe)

Haben die RAF und der Deutsche Herbst in Ihrer politischen Sozialisation eine Rolle gespielt? Und wenn ja, welche?

Die RAF und die Ereignisse um den Deutschen Herbst herum sind mir erst während meiner Schulzeit begegnet. In meinem Elternhaus spielten sie keine Rolle. Vielleicht auch deswegen, weil meine Eltern als Geflüchtete aus dem sozialistischen Polen gerade in der Bundesrepublik ihr Glück suchten und ihnen linke Ideologien aus eigener schmerzhafter Erfahrung heraus sehr suspekt waren. In der Schule dagegen traf ich auf Lehrer, die man zu der 68er Bewegung zählen dürfte, und erst dort habe ich die Dimension und Komplexität dieser deutschen Zeitgeschichte kennengelernt. Was mich bis heute daran fasziniert, ist die Unmöglichkeit eine einfache und eindeutige Haltung zu dem Geschehen einzunehmen. Auf der einen Seiten steht die offene Gewalt und kriminelle Energie, die zwar auch ihre Faszination hat, aber aus einer humanistischen Perspektive heraus abgelehnt werden muss. Auf der anderen Seite stehen die politischen Motive, welche Ungleichheiten und Zwänge benennen, die unser Leben bis heute begleiten. Wichtig war es für mich zu verstehen, dass der Deutsche Herbst aus der Zeit heraus verstanden werden muss. Schwer in der zweiten Generation durch den Krieg traumatisierte Menschen, versuchen auf das Grauen der Naziherrschaft eine Antwort zu finden in einer Gesellschaft, die am liebsten alles verdrängen möchte. Das erklärt die Intensität des Konflikts und auch die Wahl der Mittel. So habe ich gelernt, dass es in politischen Fragen eben keine einfachen Antworten geben kann und es wichtig ist, sich in dieser Grauzone zu bewegen, um dem eigentlich Kern der Ereignisse näher zu kommen und diese so für sich nutzbar zu machen.

Jan-Carl Raspe ist eine auffallend komplexe Figur. Ein technischer Visionär mit einer hohen kriminellen Energie – wie haben Sie sich dieser Figur angenähert und sehen Sie in ihr Bezüge zu heute?

Die Rolle Jan-Carl Raspe war für mich gleich zu Beginn eine besondere Herausforderung. Nach dem ersten langen Gespräch mit Niki Stein habe ich verstanden, wie komplex dieser Mensch gewesen sein muss und welche Rolle er gespielt hat im Gefüge mit den anderen. Danach habe ich mich mit unterschiedlichen Quellen beschäftigt, immer auf der Suche nach dem einen Punkt, der mich der Figur näherbringt. Aber erst als ich die Stimme gehört habe bei den Aufzeichnungen der Gerichtsverhandlung, konnte ich wirklich nachfühlen, wie präzise und zugleich verletzlich Jan gewesen sein muss. Das hat mich sehr gerührt und ich konnte eine Richtung für mich erahnen. Schließlich war es eine kurze Filmaufzeichnung von Jan, als er aus dem Polizeiauto zu dem Gerichtsgebäude eskortiert worden ist, die mir den Weg gezeigt hat. Es waren seine Bewegungen und ein Blick zu den Kameras, dieser Rhythmus und sein besonderer Körper waren für mich der Schlüssel, um Jan in mir lebendig zu machen. Dieses Bild habe ich immer wieder in mir wachgerufen und von dort aus bin ich den Szenen und Mitspielern begegnet. Die Ruhe und auch die Übersicht, die Jan kennzeichnen, sind wertvolle Impulse für unsere heutige Welt, die doch schnell und unübersichtlich geworden ist. Der Blick nach innen, bevor man eine Meinung artikuliert, wäre heute sicherlich hilfreich.



„Director‘s Note“

Niki Stein

Ein Doku-Drama ist für einen Autor/Regisseur eine besondere Herausforderung, besonders wenn es sich um ein so umfassend recherchiertes Stück über die RAF und den „Stammheim-Prozess“ handelt, das bereits zahlreiche Vorgänger in Dokumentation und Fiktion zu verzeichnen hat.

Aber diesmal ist ein Aspekt neu und fasziniert mich als Filmemacher ungemein:

Der Staat baut der RAF einen eigenen Gerichtssaal und schafft ihr so erst den Ort der Identitätsstiftung des „Mythos RAF“: STAMMHEIM.

Der „Genius Loci“ der JVA Stammheim wird zum Thema eines Dramas, Ort der Bewährung und des partiellen Versagens des damals noch jungen Rechtsstaates Bundesrepublik Deutschland, den die Mitglieder der RAF auf brutalste Weise herausgefordert hatten. In aller Überhöhung könnte man sagen, dass Stammheim der Ort war, wo die noch kurze Geschichte dieser Republik kulminierte. Der Staat, getrieben von einem hysterischen Sicherheitsbedürfnis, hatte den Fehler gemacht, der RAF quasi ein Theater zu bauen, das in seiner Wirkmächtigkeit jedes Staatstheater in den Schatten stellte und das weit über die Grenzen des Landes hinaus strahlte.

Der Anspruch unseres Films ist es, all das aus Stammheim heraus zu erzählen. Zumindest auf der fiktionalen Ebene heißt das „Kammerspiel“, wobei ich mich immer etwas schwer tue mit diesem Begriff. Die Tradition des Dramas ist Reduktion, Beschränkung. Und erst der Film sprengte die Mauern der Theaters (im Grunde erst das „nouvelle cinema“ der Nachkriegszeit). Tatsächlich sehe ich in dieser Beschränkung einen Gewinn gerade in der Darstellung des Historischen. Eine Figur offenbart ihren Charakter immer in einer Extremsituation. Hier ist die Person eine Gruppe, die führenden Köpfe der RAF. Und die Situation ist die finale Auseinandersetzung mit dem Staat, in Stammheim.

Die Hauptfrage ist: Wer wird diesen Kampf gewinnen?

Das Ganze spielt sich in einer Festung ab, in der sich die Protagonisten der RAF immer mehr Autonomie ertrotzen von einem überforderten Staat, der sich, schon Dank der eigenen, verheerenden Geschichte mit seinem Agieren in Stammheim unter Beobachtung der Weltöffentlichkeit sieht.

Die Protagonisten der RAF wissen das zu nutzen: Und aus der Festung Stammheim heraus befehlen und beaufsichtigen sie das Morden ihrer Komplizen draußen in Freiheit.

Indem wir uns in der fiktionalen Ebene auf das Innere von Stammheim beschränken, setzt sich das Morden da draußen bildlich nur noch mehr ab, wird rauer, wirklicher, wenn wir seine Darstellung dem dokumentarischen Material vorbehalten. Zwangsläufig sehen wir nur das Ergebnis der Taten, die zerschossenen und gesprengten Autos, die toten Körper unter den Planen der Spurensicherung, die Särge, die Trauernden…

Schließlich machte die Gewalt der RAF auch nicht vor den sogenannten „kleinen Leuten“ halt. Denn nichts anderes waren die ermordeten Fahrer, Polizisten und GIs, die auf der Straße verbluteten, wenn die Anschläge eigentlich US-Generälen und ehemaligen Obersturmbannführern galten.

Ihre Vertreter im Drama haben sie in den Männern des Wachpersonals um den stellvertretenden Justizvollzugsdienstleiter Horst Bubeck. In seiner Anhörung vor dem Untersuchungsausschuss, der die Umstände der Todesnacht vom 17. zum 18. Oktober 1977 untersuchte, wird er in die Enge getrieben, muss sich verteidigen. Denn in den dreieinhalb Jahren, die er mit den Gefangenen der RAF im Trakt 7 der JVA Stammheim verbracht hat, sind er und seine Kollegen den Gefangenen so nahe gekommen wie sonst niemand.

Im Grunde wollen wir mit unserem Film dieses Zusammenleben erfahrbar machen: Unser Anspruch ist, der RAF und ihren Protagonisten so nahe zu kommen, wie das noch kein Film vorher versucht hat.

Der Umstand, dass wir an dem Ort, in den Zellen drehen konnten, wo das alles passiert ist, schafft per se diese Nähe. Und mit den Schauspielern macht er etwas, was man ihnen in jeder Faser ihres Spiels ansieht: Sie sind „im Moment“. Das Ensemble, das mir zur Verfügung stand, ist der zweite Glücksfall dieses Film.

Dabei sind Dialoge, die sie sprechen, immer auch eine Interpretation des vorhandenen Quellenmaterials, ein Weiterdenken und Darstellen des Konfliktes, in dem sich die Charaktere aus Sicht der Autoren befinden. Unser Stück soll sich nicht nachstellen, sondern eine Hypothese aus belegter historischen Sicht sein.

Das Drama im Zellentrakt gaukelt also kein „So war es“ vor, sondern stellt ein „So könnte es gewesen sein“ dar unter der Verwendung der Quellen, die uns zur Verfügung stehen. In der Konfrontation eines Dramas, das nicht behauptet, Dokumentation zu sein, mit dokumentarischem Material und Zeitzeugenberichten, sehe ich den besonderen Reiz dieser filmischen Form.





Statements

von Niki Stein und Stefan Aust



Warum haben wir die neue Perspektive des Wachpersonals für den Film gewählt? Wie sind wir darauf gekommen?

Die RAF als Kammerspiel, also die erzählerische Beschränkung auf das Zusammenleben ihrer vier Protagonisten Baader/Meinhof/Ensslin/Raspe im Zellentrakt 7 der JVA Stammheim, bedingt zwangsläufig, dass man auch über die Menschen erzählt, die sie bewachen mussten, und zwar die Vollzugbeamten unter dem stellvertretenden Vollzugsdienstleiter Horst Bubeck (Moritz Führmann). Der herablassende Umgang der RAF-Führer mit ihren Aufpassern konterkariert dabei sichtbar deren Anspruch, ihren Kampf für das Volk zu führen. Und über die dann auf die Gefangenen zu schauen, ist natürlich ein sich anbietendes Mittel, immer wieder auf Distanz zu gehen. Es entsteht so hoffentlich eine nüchterne Sicht auf diese vom Mythos überfrachteten RAF-Legenden. Das war uns wichtig!

Die Idee der Rahmenhandlung entstand, als Stefan Aust auf das Vorhandensein von ca. zehn Stunden Filmmaterial hinwies, die er in den Sitzungen des unmittelbar nach den Ereignissen des 18. Oktober eingerichteten Untersuchungsausschusses aufgenommen hatte. Einer der Hauptzeugen dort war eben der für den Zellentrakt 7 zuständige Horst Bubeck. Seine Berichte über den „Alltag“ im Zellentrakt waren auch eine wichtige Quelle für das Drehbuch. So lag es nahe. Wir mussten aber feststellen, dass nicht mehr alles Material vorhanden war, wohl aber die Wort-Protokolle der abgefilmten Sitzungen. Wir haben dann, unter Verwendung des historischen Materials die Befragungen Bubecks in exakt den gleichen Kameraeinstellungen, die Stefan damals gewählt hatte, mit den Schauspielern Moritz Führmann und Hans-Jochen Wagner (als Ausschussvorsitzenden) nachgestellt, auch die von anderen Zeugen, wie dem BKA-Beamten Alfred Klaus (Heino Ferch), oder dem Anstaltspfarrer Rieder.

Niki Stein





Wie haben wir uns dem Leben der Gefangenen und ihrer psychischen Verfassung angenähert?

Ich glaube, ich sage jetzt nichts Falsches, wenn ich behaupte, für Stefan Aust ist die RAF ein Lebensthema. Bei mir war das natürlich anders. Ich bin mit der RAF groß geworden, mitten im Regierungsviertel von Bonn, wo die Anspannung und Angst vor dem Terror der RAF natürlich noch mehr spürbar war als im Rest der Republik. Mein Vater, ein Staatsanwalt, gehörte zu der unmittelbar gefährdeten Personengruppe. Aber der Blick meiner Generation, damals Heranwachsende, auf die RAF war durchaus ambivalent. Wir waren äußerst politisiert, im Dauerkonflikt mit der Polizei. Da reichte ja schon zu laut aufgedrehte Musik auf einer Party, oder ein heimlich konsumierter Joint. Und Schleyer wurde eben auch als ehemaliger SS-Mann wahrgenommen. Trotzdem schreckte die Brutalität des Terrorismus ab, auch uns. Das ging schon beim Anschlag auf die Stockholmer Botschaft 1975 los.

Tatsächlich hat mir persönlich der Abstand von 50 Jahren sehr geholfen. Ich kannte natürlich Stefan Austs Buch „Der Baader-Meinhof-Komplex“. Aber ein ganz entscheidender neuer Blick auf die Protagonisten entstand beim Anhören der Tonband-Mitschnitte vom Prozess, die Stefan Aust und andere 2007 in einem Putzschrank im Stuttgarter Oberlandesgericht entdeckt hatten. Diese Quellen hatten meine Kollegen noch nicht, als sie die bekannten Vorgängerfilme drehten, an denen zum Teil auch Stefan schon beteiligt war. Da tritt ein ganz anderer Baader hervor, als der aufbrausende, wie er bisher meist dargestellt wurde: Schlagfertig, durchaus gewitzt, mit ruhiger Stimme. Ein Raspe, der in endlosen Beweisanträgen agiert, wie der Soziologe, der er war, bei einem schlecht gekürzten, wissenschaftlichen Vortrag. Gudrun Ensslin, der intellektuelle Kopf der RAF, zurückhaltend und nur mit sehr pointierten Redebeiträgen, überlässt meist Baader das Feld. Und Ulrike Meinhof - der man in ihren eigenartig sprunghaften Beiträgen die Folgen ihrer langen Isolation in der JVA Köln-Ossendorf anzumerken scheint - wirkt labil, gebrochen. Ein Soziogramm der Gruppe entblättert sich da fast von selbst.

Basis der Dialoge zwischen den Gefangenen sind vor allem die Kassiber, die Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin einander geschrieben haben. Diese sind vom Bundeskriminalamt beschlagnahmt und vor allem von dem Beamten Alfred Klaus, genannt der „Familienbulle“, ausgewertet worden. Zusätzliche Informationen darüber hat Alfred Klaus Stefan Aust bei dessen Recherchen zum „Baader-Meinhof-Komplex“ in vielen Interviews und internen Gesprächen gegeben.

Niki Stein und Stefan Aust





Der Stammheim-Prozess

kein gewöhnliches Strafverfahren

Stuttgart-Stammheim, 28. April 1977: Es ist der letzte Tag eines Strafprozesses, der mit 40.000 Beweismitteln, fast 1.000 geladenen Zeugen, 80 Sachverständigen, 14.000 Seiten Wortprotokoll, 50.000 Blatt Prozessakten und Gesamtkosten in Höhe von 20 Millionen DM bis heute als einer der aufwändigsten in der deutschen Rechtsgeschichte gilt. Nach 192 Verhandlungstagen und knapp 23 Monaten verkündet der Vorsitzende Richter Eberhard Foth das Urteil gegen die Angeklagten Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe. Kurz bevor er die Sitzung schließt, kommt er auf ein Grundthema zurück, das sich wie ein roter Faden durch den ganzen Prozess zieht: „Manche werden fragen - wo bleibt die Politik? Dort, wo sie hingehört, nämlich draußen vor der Tür des Gerichtssaals.“ Damit macht Foth unmissverständlich klar: Wer einen politischen Prozess erwarte, entferne sich von den Prinzipien des Rechtsstaats.

Den Terror entschieden bekämpfen und zugleich Rechtsstaatlichkeit wahren – das ist seit Beginn des Strafverfahrens eine Gratwanderung für die bundesrepublikanische Justiz, die allein aufgrund der NS-Vergangenheit im Blick der internationalen Öffentlichkeit steht. Schon früh kommen Vorwürfe auf, das Verfahren sei ein politischer Prozess, in dem rechtsstaatliche Prinzipien mehrfach verletzt würden. Die auf den Prozess wartenden RAF-Terroristen bezeichnen ihre Haft als „Isolationsfolter“ – ein Mythos, der sich nicht nur im Kreis von überzeugten Sympathisanten schnell etabliert und zum Kern des RAF-Narrativs wird. Mehrere Veränderungen der Strafprozessordnung, welche die Rechte von Angeklagten und Verteidigung einschränken und zum 1. Januar 1975 in Kraft treten, sorgen im Vorfeld für Kritik: Das Verbot der Mehrfachverteidigung, die erstmal eingeräumte Möglichkeit zum Ausschluss von Verteidigern und die Beschränkung der zulässigen Zahl von Wahlverteidigern auf drei. Zudem darf eine Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten in Zukunft durchgeführt werden, sofern dieser seine Verhandlungsunfähigkeit (zum Beispiel durch Hungerstreik) vorsätzlich und schuldhaft selbst herbeigeführt hat. Zwar gelten diese Gesetzesänderungen für alle Strafprozesse seit 1975, ihre Verabschiedung so kurz vor Prozessbeginn nährt aber bei manchen den Verdacht, es handele sich um extra für den Fall Stammheim angepasste „Sondergesetze“.

Die Neuerungen haben erhebliche Auswirkungen auf die Organisation der Verteidigung und den Prozessverlauf. Nach Eröffnung des Prozesses am 21. Mai 1975 durch den Vorsitzenden Richter Theodor Prinzing ist die Anfangsphase geprägt von langwierigen und heftigen Auseinandersetzungen über die Verhandlungsfähigkeit der Angeklagten. Erst drei Monate nach Prozessbeginn kann mit der Verlesung der Anklageschrift und der Vernehmung zur Person begonnen werden. Als Gutachter die nur zeitlich beschränkte Handlungsfähigkeit der Angeklagten feststellen, setzt das Gericht die Verhandlung trotz tumultartiger Proteste und unter Anwendung der geänderten Strafprozessordnung in Abwesenheit der Angeklagten dennoch fort.

Der Gerichtssaal in der eigens für den Prozess errichteten „Mehrzweckhalle“ neben der JVA Stammheim wird immer mehr zur Bühne, auf der Angeklagte und Verteidiger ihren Kampf gegen den Staat fortsetzen und dabei die Legitimität des Gerichts in Frage stellen. Die Angeklagten rechtfertigen ihre Taten als Akte des Widerstands gegen das „imperialistische System“ und dessen Kriegsverbrechen wie in Vietnam. Der Senat wird mit Befangenheitsanträgen überhäuft, im Gericht kommt es zu heftigen Wortgefechten, verbale Beleidigungen des Senats sind keine Seltenheit. Den Zweifeln an einem objektiven, rechtsstaatlichen Verfahren leisten aber auch der Staat und dessen Vertreter Vorschub. Wegen außergerichtlicher Äußerungen Prinzings gegenüber dem Verteidiger Künzel hat schließlich der 85. Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter am 20. Januar 1977 Erfolg. Prinzing wird durch Eberhard Foth abgelöst. Noch bedrohlicher für die Fortsetzung des Prozesses sind die Enthüllungen kurz vor Ende der Hauptverhandlung, dass Gespräche zwischen Verteidigern und Angeklagten durch das LKA Baden-Württemberg abgehört worden sind. Die Vertrauensanwälte der Angeklagten verweigern die weitere Teilnahme an der Hauptverhandlung, die Verteidigung fordert sogar eine Einstellung des Verfahrens.

Am 28. April 1977 werden die drei noch lebenden Angeklagten Baader, Ensslin und Raspe wegen Mordes, des Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte sowie der Bildung einer kriminellen Vereinigung zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt. Da die Verteidigung Revision einlegt, diese aber vor dem Tod der drei RAF-Terroristen am 18. Oktober 1977 nicht mehr entschieden wird, werden die Urteile nie rechtskräftig.

Der Stammheim-Prozess bleibt ein Schlüsselmoment der deutschen Nachkriegsgeschichte. Er zeigt das Dilemma eines Staates, der um ein entpolitisiertes, rechtsstaatliches Strafverfahren gegen aus seiner Sicht „gewöhnliche“ Kriminelle bemüht war, sich aber mit Angeklagten konfrontiert sah, die ihre Taten und auch den Prozess als legitime politische Mittel betrachteten, um den Staat brutal herauszufordern. Zugleich gilt der Prozess trotz aller berechtigten Kritik am Verlauf und an Verletzungen rechtsstaatlicher Prinzipien auch als Geburtsstunde des modernen Terrorismusrechts und ist insofern für den künftigen strafrechtlichen Umgang mit dem Terrorismus wegweisend.





„Producer’s Note“

Kay Siering

Enge! Ein beklemmendes Gefühl der Enge. Als ich den ersten Schritt in die Zelle von Gudrun Ensslin im Trakt 7 der JVA Stammheim setze, wird mir bewusst, wie klein dieser Raum ist. Ich kannte die Zelle nur von Fotos, und jetzt merke ich, dass sich dieser Raum ganz anders anfühlt als ich vermutet habe. Anders, aber nicht besser.

Wenn es mir so geht – wie muss es erst den Schauspielerinnen und Schauspielern gehen, wenn Sie an diesem einmaligen Originalschauplatz in die Rollen der Terroristinnen und Terroristen schlüpfen? In keinem Filmstudio kann sich so eine Intensität aufbauen wie an dem Ort, an dem die Mitglieder der RAF tatsächlich inhaftiert waren.

Dass wir unser Doku-Drama in der Justizvollzugsanstalt Stammheim drehen durften, war für mich als Produzent die Krönung des gesamten Projekts. Lilith Stangenberg als Gudrun Ensslin in Ensslins Zelle zu erleben, war großartig. Ich war mir sicher, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer diese Intensität spüren werden.

Als vor einigen Jahren in einem Gespräch mit dem SWR die Idee entstand, anlässlich des 50. Jahrestages des Stammheim-Prozesses ein Doku-Drama zu produzieren, wusste ich sofort, dass wir eines der großen historischen Themen der Bundesrepublik in den Händen hielten. Wie jeder, der bei SPIEGEL TV mit Stefan Aust zusammenarbeiten durfte, kannte ich seine Expertise und Leidenschaft für diesen Stoff. Im Kreativ-Duo mit Niki Stein schrieb Stefan Aust das Drehbuch für diesen Film, der sich absetzen sollte von allen bisherigen Produktionen über die RAF.

Die Konzentration auf die Gruppendynamik der Inhaftierten und der Blick auf das Geschehen im Zellentrakt durch die Augen des Wachpersonals haben uns von Anfang an fasziniert. Denn die deutsche Öffentlichkeit kannte zwar die Auftritte der Terroristinnen und Terroristen im Gerichtssaal. Doch was im Zellentrakt des Hochsicherheitsgefängnisses geschah, blieb ihnen verborgen.

Genau auf diese bisher kaum beachteten Geschehnisse blickt unser Doku-Drama. Stefan Aust und Niki Stein haben das Leben im Zellentrakt anhand von Kassibern, Akten und Gesprächsnotizen rekonstruiert. Es war ein kreativer Prozess, bei dem immer wieder auch hinterfragt wurde, was ein Doku-Drama darf – und was nicht. „Stammheim – Zeit des Terrors“ ist ein moderner Film, der ganz bewusst die Grenzen des Genres austestet. Mein herzlicher Dank gilt den Redaktionen von SWR, NDR und rbb, die uns immer wieder gefördert haben. Und natürlich dem herausragenden Cast und dem gesamten Team, das mit Leidenschaft für diesen Film gearbeitet hat.



Zeitstrahl

Von der Gründung der RAF zum Deutschen Herbst
2. April 1968
Andreas Baader und Gudrun Ensslin legen gemeinsam mit zwei anderen Mittätern Brände in zwei Frankfurter Kaufhäusern. Damit wollen sie gegen den Vietnam-Krieg protestieren. Nur zwei Tage später werden sie gefasst.
31. Oktober 1968
Im Prozess werden die Brandstifter zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt.
13. Juni 1969
Die Haftbefehle für die Kaufhausbrandstifter werden außer Vollzug gesetzt. Baader und Ensslin setzen sich nach Frankreich, später Italien ab.
Februar 1970
Andreas Baader und Gudrun Ensslin kehren nach West-Berlin zurück, wo sie illegal bei Ulrike Meinhof untertauchen.
4. April 1970
Andreas Baader wird in West-Berlin festgenommen und in die JVA Tegel eingeliefert.
14. Mai 1970
Bei einer fingierten Ausführung in das Deutsche Institut für Soziale Fragen wird Andreas Baader gewaltsam befreit. Dieser Tag gilt als Gründungsdatum der Roten Armee Fraktion (RAF). Um dem Fahndungsdruck in Deutschland zu entkommen und sich militärisch ausbilden zu lassen, fliehen Baader, Ensslin, Meinhof und andere Sympathisanten nach Jordanien.
1970-1972
Nach ihrer Rückkehr aus Jordanien verüben Mitglieder der RAF zahlreiche Banküberfälle.
April 1971
Der von Ulrike Meinhof verfasste Text Das Konzept Stadtguerilla erscheint. In ihm werden erstmals der Name Rote Armee Fraktion und das Symbol des roten Sterns mit Maschinenpistole verwendet.
Mai 1972
Am 11. Mai verübt die RAF einen Bombenanschlag auf das Hauptquartier der US-Armee in Frankfurt am Main. Es folgen weitere Anschläge auf die Polizeidirektion Augsburg und das Landeskriminalamt München (12. Mai 1972), den Wagen des Karlsruher Bundesrichters Buddenberg (15. Mai 1972), das Axel-Springer-Gebäude in Hamburg (19. Mai 1972) und das Hauptquartier der US-Streitkräfte in Europa in Heidelberg (24. Mai 1972). Bei dieser sogenannten Mai-Offensive sterben vier Menschen, 72 werden verletzt.
Juni/Juli 1972
Infolge einer Großfahndung gelingt es der Polizei, bis Anfang Juli 1972 einen Großteil der RAF-Führung festzunehmen.
28. April 1974
Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin werden in die JVA Stammheim verlegt.
13. September 1974
Die inhaftierten RAF-Terroristen beginnen ihren dritten kollektiven Hungerstreik, um mehrere Forderungen, darunter bessere Haftbedingungen, durchzusetzen. Der Hungerstreik dauert bis 5. Februar 1975.
9. November 1974
Während des Hungerstreiks stirbt Holger Meins in der JVA Wittlich
10. November 1974
Bei einer versuchten Entführung wird Günter von Drenkmann, Präsident des Kammergerichts Berlin, schwer verletzt und stirbt später am selben Tag. Die linksterroristische Organisation Bewegung 2. Juni bekennt sich zur Tat, die sie als Rache für den Tod Holger Meins‘ rechtfertigt.
27. Februar 1975
Drei Tage vor der Wahl des Berliner Abgeordnetenhauses wird der Spitzenkandidat der CDU, Peter Lorenz, von Mitgliedern der Bewegung 2. Juni entführt. Am folgenden Tag veröffentlichen sie ein Bekennerschreiben, in dem sie die Freilassung von sechs inhaftierten Terroristen der RAF und der Bewegung 2. Juni verlangen. Die Bundesregierung unter Helmut Schmidt stimmt den Bedingungen zu. Am 3. März werden fünf Terroristen – Horst Mahler hat einen Austausch abgelehnt – unter Begleitung des Pfarrers und ehemaligen Regierenden Bürgermeisters Heinrich Albertz ausgeflogen.
24. April 1975
Sechs RAF-Terroristen stürmen die deutsche Botschaft in Stockholm und nehmen 12 Botschaftsmitglieder als Geiseln. Das Kommando Holger Meins droht, die Gebäude zu sprengen, sollte die schwedische Polizei eingreifen. Als diese sich weigert, das Gebäude zu räumen, wird Militärattaché von Mirbach erschossen. Die Terroristen verlangen die Freilassung von 26 RAF-Terroristen, darunter Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe. Als die Bundesregierung sich weigert, darauf einzugehen, wird ein weiterer Botschaftsmitarbeiter erschossen. Bevor die schwedische Polizei eingreifen kann, kommt es vor Mitternacht zu einer Reihe von Sprengstoffexplosionen, die von den Terroristen versehentlich ausgelöst werden.
21. Mai 1975
Unter großen Sicherheitsvorkehrungen wird der Stammheim-Prozess unter dem Vorsitzenden Richter Theodor Prinzing in dem Mehrzweckgebäude eröffnet. Baader, Ensslin, Meinhof und Raspe werden wegen Mordes an vier und Mordversuchs an 54 Menschen, Raubüberfällen, Sprengstoffanschlägen und Gründung bzw. Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung angeklagt.
9. Mai 1976
Ulrike Meinhof erhängt sich am Fenstergitter in ihrer Zelle in Stuttgart-Stammheim.
25. Januar 1977
Nach einem Befangenheitsantrag der Verteidigung wird der Vorsitzende Richter im Stammheim-Prozess Theodor Prinzing durch Eberhard Foth abgelöst.
17. März 1977
Baden-Württembergs Justizminister Traugott Bender (CDU) und Innenminister Karl Schiess (CDU) teilen der Presse mit, dass in der JVA Stuttgart-Stammheim zwei Mal Gespräche zwischen angeklagten RAF-Häftlingen und ihren Verteidigern abgehört worden seien. Der „dringende Verdacht“, dass die Inhaftierten Geiselnahmen und Gewaltakte aus dem Gefängnis steuern könnten, habe diese Abhörmaßnahmen gerechtfertigt. Die erste Lauschaktion sei nach dem Überfall auf die deutsche Botschaft in Stockholm durchgeführt worden, die zweite im Dezember 1976. An den Aktionen sind das Bundesamt für Verfassungsschutz und der Bundesnachrichtendienst beteiligt. Die Enthüllungen gefährden den laufenden Stammheim-Prozess. Gudrun Ensslins Verteidiger Otto Schily fordert sogar eine Einstellung des Verfahrens.
7. April 1977
Generalbundesanwalt Siegfried Buback wird zusammen mit seinem Fahrer und einem weiteren Begleiter auf der Fahrt von seiner Karlsruher Wohnung zum Bundesgerichtshof von Mitgliedern der RAF erschossen. Bubacks Tod ist der Auftakt der Offensive 77 der RAF, die im Deutschen Herbst gipfelt.
28. April 1977
Das Urteil im Stammheim-Prozess wird verkündet. Die Angeklagten Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe werden für schuldig befunden und jeweils zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Die Verteidigung legt jedoch Revision ein. Die Urteile werden nie rechtskräftig.
30. Juli 1977
Bei einer versuchten Entführung wird Jürgen Ponto, Vorstandssprecher der Dresdner Bank, in seinem Haus in Oberursel bei Frankfurt erschossen.
5. September 1977
Der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und des Bundesverbands der Deutschen Industrie, Hanns Martin Schleyer, wird vom RAF-Kommando Siegfried Klausner in Köln entführt. Dabei sterben Schleyers Fahrer und drei Leibwächter. Die Entführer fordern die Freilassung von elf RAF-Häftlingen, darunter auch Baader, Ensslin und Raspe. Die Bunderegierung unter Kanzler Helmut Schmidt lehnt dies ab.
13. Oktober 1977
Um den Druck auf die Bundesregierung zu erhöhen, entführt ein vierköpfiges palästinensisches Kommando die Lufthansa-Maschine Landshut auf ihrem Flug von Mallorca nach Frankfurt am Main. Nach Zwischenstopps in Rom, Larnaka, Dubai und Aden landet die Maschine am 17. Oktober in der somalischen Hauptstadt Mogadischu. Hier setzen die Entführer ein Ultimatum für die Freilassung der RAF-Häftlinge und drohen, die Maschine mit ihren mehr als 80 Passagieren in die Luft zu sprengen.
18. Oktober 1977
Es gelingt, das Ultimatum zu verlängern, um die deutsche Spezialeinheit GSG 9 vor Ort zu schaffen. Um 2:05 Uhr Ortszeit stürmt sie die Maschine. Drei der vier Entführer werden getötet, alle Geiseln werden befreit. Staatsminister Hans-Jürgen Wischnewski, der vor Ort ist, meldet dem Bundeskanzler Schmidt den erfolgreichen Abschluss der Befreiungsaktion. Jan-Carl Raspe erfährt im Hörfunk von der erfolgreichen Befreiungsaktion und gibt diese Nachricht über eine selbstgebastelte Wechselsprechanlage an seine Stammheimer Mithäftlinge weiter. Danach versuchen die Terroristen sich umzubringen. Bei der Öffnung seiner Zelle wird Jan-Carl Raspe mit einer Schusswunde blutüberströmt vorgefunden. Er stirbt kurz danach im Krankenhaus. Andreas Baader liegt mit einem Genickschuss tot auf dem Boden in seiner Zelle, Gudrun Ensslin hat sich in ihrer Zelle erhängt. Irmgard Möller liegt mit Stichwunden schwerverletzt auf ihrer Matratze, wird ins Krankenhaus gebracht und überlebt.
19. Oktober 1977
Die Leiche des ermordeten Hanns Martin Schleyer wird im Kofferraum eines Autos bei Mulhouse im Elsass aufgefunden.
20. Oktober 1977
Der Landtag von Baden-Württemberg setzt einen Untersuchungsausschuss ein, der die Vorfälle in der JVA Stuttgart-Stammheim aufklären soll.





Im Schatten der Mörder Die unbekannten Opfer der RAF





Dokumentation Ab 17. Mai 2025 in der ARD Mediathek Am 19. Mai um 21:45 Uhr im Ersten

INHALT

Im Mai 2025 ist es 50 Jahre her, dass in Stuttgart-Stammheim der Strafprozess gegen die Terroristen der ersten Generation der RAF begann. An deren prominente Opfer erinnert man sich, allen voran an Hanns Martin Schleyer und Alfred Herrhausen. Fast völlig vergessen aber sind die Namen der Ermordeten, die nicht prominent waren: Polizeibeamte, Fahrer, Behördenmitarbeiter, ein Diplomat. Diese heute kaum noch bekannten Ermordeten waren Menschen mit einem eigenen Leben, sie lebten für ihre Berufe und ihre Familien.

Einige von ihnen hatten Kinder. Diese Kinder waren zwölf, 13 oder erst zwei Jahre alt, als die RAF sie zu Halbwaisen machte. Sie sind aufgewachsen im Schatten der Morde an ihren Vätern. Und sie müssen bis heute mit den Folgen leben. Das hat tiefe Spuren in ihren Biographien hinterlassen. Sie haben Wichtiges zu sagen: Über sich selbst und ihre Väter, über ihre Familien – nicht zuletzt aber auch darüber, wie Staat und Gesellschaft in Deutschland mit dem Terrorismus der 70er umgegangen sind und was man daraus für den heutigen Umgang mit Terrorismus lernen kann. Indem der Film vom Leben dieser Kinder erzählt, bietet er eine wichtige Ergänzung zur Geschichte der RAF. Eine, die nicht die Täter in den Mittelpunkt stellt, sondern eben die Kinder der Ermordeten. Zentrale Elemente des Films sind die Interviews mit den Hauptpersonen des Films. Daneben haben die Autoren sie zu ihren Schicksals- und Erinnerungsorten begleitet. Außerdem haben sie für den Film ihre Fotoalben geöffnet und private Filme bereitgestellt.



Ein Film von Holger Schmidt und Thomas Schneider. Redaktion: Thomas Michel



Stab

Autoren
Holger Schmidt, Thomas Schneider
Kamera
Till Talmann
Schnitt
Michael Zeigermann
Design
Andreas Paulus
Produktionsleitung
Lars Hartmann
Redaktion
Thomas Michel, Martina Treuter
Leitung
Esther Saoub

„Im Schatten der Mörder – Die unbekannten Opfer der RAF“ ist eine Produktion des SWR. Die Autoren sind Holger Schmidt und Thomas Schneider. Die Redaktion liegt bei Thomas Michel (SWR)







Die Menschen in diesem Film

Sabine Reichel ist die Tochter von Georg Wurster, in den 70er Jahren Leiter der Fahrbereitschaft der Bundesanwaltschaft. Beim Anschlag auf Generalbundesanwalt Buback 1977 schießt die RAF auch auf Wurster, der wenige Tage später stirbt. Seine Tochter, damals zwölf Jahre alt, hat fast eine Woche um ihren Vater gebangt: Seine Verletzungen waren schwer, doch bestand noch Hoffnung, dass er überlebt. Sechs Tage nach dem Anschlag stirbt Sabines Vater.



Clais von Mirbach ist der Sohn von Andreas von Mirbach, einem Oberstleutnant der Bundeswehr und Militärattaché der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Stockholm, erschossen bei der Geiselnahme der RAF in der Botschaft in Stockholm am 24. April 1975. Clais von Mirbach war damals elf Jahre alt. Die Prozesse gegen die RAF-Terroristen haben ihn als Jugendlichen stark beschäftigt und wurden zum Anstoß dafür, dass er selbst Jura studierte. Den Tod seines Vaters hat er mehrfach in Spielfilmen und Fernsehfilmen gesehen. Die Reduktion seines Vaters auf eine Statistenrolle belastet ihn bis heute.







Orm Kranenburg ist der Sohn des niederländischen Polizisten Arie Kranenburg – ermordet im September 1977 vom RAF-Terroristen Knut Folkerts in Utrecht. Orm war damals erst zwei Jahre alt und kennt seinen Vater nur von Bilden. Als Erwachsener wurde er selbst Polizist, „weil alle das von mir erwarteten: Ich war ja der Sohn eines Helden“. Inzwischen ist er kein Polizist mehr. Die Ermordung des Vaters und die Folgen haben seine Lebensgeschichte entscheidend geprägt – in diesem Film erzählt er sie zum ersten Mal.



Hanns-Eberhard Schleyer war kein Kind mehr, sondern ein junger Rechtsanwalt, als die RAF seinen Vater Hanns Martin Schleyer 1977 entführte und ermordete. Während der Entführung versuchte er, über das Bundesverfassungsgericht die Bundesregierung in Verhandlungen mit der RAF zum Nachgeben zu zwingen, um das Leben seines Vaters zu retten. Hanns-Eberhard Schleyer verlor den juristischen Kampf – und wurde trotzdem ein engagierter Kämpfer für Demokratie und Rechtsstaat. Als Staatssekretär der rheinland-pfälzischen Landesregierung musste er sich Ende der 80er Jahre beruflich mit den Gnadengesuchen von RAF-Tätern beschäftigen.



Wie dieser Film entstanden ist



Wollen sie ihre Ruhe oder haben sie das Bedürfnis, zu erzählen? Wo leben sie heute und wie können wir Kontakt aufnehmen, ohne übergriffig zu sein? Diese Fragen standen für die Autoren Thomas Schneider und Holger Schmidt ganz am Anfang ihrer Recherche. Denn neben den Kindern der Opfer, die später durch Politik oder öffentliche Ämter in die Öffentlichkeit traten, haben sie sich auch für das Schicksal der Menschen interessiert, um deren Verlust nur das unmittelbare Umfeld wusste. Viele Kontakte begannen mit einem klassischen Brief und der Hoffnung auf Antwort.

Im zweiten Schritt haben die Autoren den Gedanken ihres Films vorgestellt und sind dabei ausnahmslos auf offenen Ohren gestoßen. „Es ist schön, dass das Schicksal der Opfer und ihrer Angehörigen nicht in Vergessenheit gerät“ ist ein Satz, den sie immer wieder gesagt bekommen haben. Und doch gab es Gesprächspartner, die letztlich nicht in die Öffentlichkeit treten wollten und denen das Wissen ausreicht, nicht vergessen zu sein. Auch für sie und die bereits verstorbenen Kinder der Opfer haben Thomas Schneider und Holger Schmidt den Film gemacht.

Und dann war da noch eine ganz grundsätzliche Frage: Auch einige der Täter von damals haben Kinder. Sollten auch sie im Film zu Wort kommen? Auch unter ihnen sind Menschen, die heute in der Öffentlichkeit stehen und solche, von denen wohl nur engste Freunde wissen, was Vater oder Mutter damals getan haben.

Wie auch die Kinder der Opfer sind die Kinder der Täter in ihr familiäres Schicksal geworfen worden und mussten ihre Familiengeschichte hinnehmen. Doch für Thomas Schneider und Holger Schmidt wurde schnell klar, dass es trotzdem eine gänzlich andere Geschichte ist. Weil die Täter – im krassen Gegensatz zu den Opfern – eine bewusste Entscheidung für ihre Tat getroffen hatten.









Was hat die Angehörigen überzeugt, in die Öffentlichkeit zu gehen?

Weil ich es wichtig finde, dass diese Geschichte, der Terror in Deutschland, niemals vergessen wird, weil sich unser Leben sehr, sehr stark darum dreht seit dieser Zeit. Wir haben das lebenslang, das wird uns bleiben.

Sabine Reichel (geb. Wurster)



Ihr Vater saß am 07. April 1977 im Fond des Fahrzeugs von Generalbundesanwalt Siegfried Buback und starb sechs Tage nach dem Attentat im Krankenhaus an seinen schweren Verletzungen.

Ich bin der Meinung, dass die Geschichte nicht vergessen werden darf. Der Mörder meines Vaters müsste eigentlich noch immer 19 Jahren im Gefängnis verbringen. Und mein Bruder und meine Mutter und ich denken noch sehr oft an die Ereignisse.

Orm Kranenburg

Sein Vater Arie Kranenburg war Polizist in Utrecht (NL) und wollte wenige Tage nach der Entführung von Hanns Martin Schleyer den RAF-Terroristen Knut Folkerts bei der Rückgabe eines Mietwagens festnehmen. Doch Folkerts schoss sofort und Arie Kranenburg starb. Orm war damals knapp zwei Jahre alt, sein jüngerer Bruder wurde wenige Wochen nach der Ermordung des Vaters geboren.

Ich möchte, dass mein Vater nicht in Vergessenheit gerät und dass das, was zu seiner Ermordung geführt hat, nicht in ein schiefes Licht gestellt wird. Und dass vielleicht auch ein wenig herauskommt, was er für ein fabelhafter Mensch war, der nichts weniger auf dieser Welt verdient hätte, als dieses Schicksal.

Clais von Mirbach

Sein Vater Andreas von Mirbach war 1976 Militärattaché an der Deutschen Botschaft in Stockholm und wurde während des Überfalls auf die Botschaft von der RAF zunächst als Sprachrohr der Terroristen genutzt und dann erschossen. Clais von Mirbach besuchte damals gemeinsam mit seiner Schwester die Deutsche Schule in Stockholm.

Es ist für mich immer noch interessant und auch nicht unwichtig, dass es auch so viele Jahre nach dem sogenannten „Deutschen Herbst“ noch ein öffentliches Interesse gibt an den Vorgängen von damals. Das hat sicherlich auch etwas mit der politischen Entwicklung der letzten Zeit zu tun.

Hanns-Eberhard Schleyer

Sein Vater, Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer, wurde 1977 von der RAF zunächst entführt und dann ermordet. In der Zeit der Entführung versuchte sein Sohn Hanns-Eberhard, der kurz zuvor Rechtsanwalt geworden war, vor dem Bundesverfassungsgericht die Bundesregierung zu zwingen, den Forderungen der RAF nachzugeben und damit seinen Vater zu retten. Sein Eilantrag blieb erfolglos.

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